Soziale Neurowissenschaften I

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Dieses Skript behandelt Soziale Neurowissenschaften I aus den Wahlthemen.

Der modulare Aufbau wird durch die Einrückungen kenntlich gemacht.

Der Übersichtlichkeit halber sind die Fragen (Hyperlinks) bei ausgeklappten Texten in Rot dargestellt.

Bei den Fragen nach den zugehörigen Versuchen, die die Thesen belegen (sollen), ist das Wort Versuch farbig hinterlegt, da diese wichtig sind und somit eher auffallen. Hier verbirgt sich als Antwort i.d.R. eine längere Aufzählung.

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Stand: SS2012, Version 1.0, André W.

Dieses Werk unterliegt der CC BY-NC-SA 3.0 Lizenz. Näheres dazu unter: http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/3.0/de/

Sozialpsychologie − Soziale Neurowissenschaften I

Relative Größe des Gehirns bei Säugetieren
- Entwicklung in drei Schüben
  - Verbesserung olfaktorischer und taktiler Wahrnehmung und der neuromuskulären Koordination
  - Verbesserung der kortikalen olfaktorischen Reizverarbeitung (Bulbus olfaktorius, Piriformer Kortex)
  - Vergrößerung des olfaktorischen Epithels und Vermehrung der olfaktorischen Rezeptoren
(Kurz: Aufgrund olfaktorischer Wahrnehmung/Verarbeitung, hat sich das Gehirn so stark [und groß] entwickelt)

Dunbar: Die Theorie des sozialen Gehirns

Nur bei Primaten korreliert die Gehirn- mit der Gruppengröße
Nur bei Nicht-Primaten korreliert die Gehirngröße mit dem Paarungsverhalten (monogam eher größerer Neokortex als polygam)

Welche Erklärung dafür?

Eigenschaften des Gehirns beim Homo Sapiens ↔ Vergleich zum Homo Neanderthalensis
- Vergrößerung des Bulbus olfaktorius
- Vergrößerung des orbitofrontalen Kortex
- Vergrößerung des Temporallappens
(Also auch hier das Ergebnis, dass olfaktorische Wahrnehmung/Verarbeitung für die Entwicklung des Gehirns entscheidend ist)

Damasio: Soziales Selbst und soziale Intelligenz

Sommer 1848 in Neuengland
Charakter: tüchtig, fähig, angesehen, beliebt, athletisch, rasche und exakte Bewegungen, höflich
Unfall mit Eisenstange bei Gleisarbeiten
Schädigung des ventromedialen Stirnlappens (ventromedial = vorn im Frontallappen mittig)
Konnte nach Unfall weiterarbeiten; Frontallappen offensichtlich nicht so wichtig zum Überleben
Nach dem Unfall: Persönlichkeitsveränderungen
- Wandel moralischer Prinzipien (veränderter Charakter)
  - Launisch, respektlos, flucht manchmal auf abscheulichste Weise, reagiert ungeduldig
- Fasst Zukunftspläne und lässt sie wieder fallen
  - Wechselt häufig die Arbeit (Zirkusattraktion)

Beruflich erfolgreich (hohe Position in Wirtschaftsunternehmen)
Gewebe im ventromedialen PFC wurde entfernt (Tumor)
Früh-Folgen: mangelnde Zeiteinteilung, keine Ziel-Vorstellungen, reduzierte Entscheidungsunfähigkeit (Akten sortieren: extrem sorgfältig)
Spät-Folgen: Wirtschaftlicher Bankrott, Scheidung

Normale bis überdurchschnittliche Fähigkeiten in psychologischen Tests
- Intelligenztest (Wechsler)
- Langzeit- und Kurzzeitgedächtnis
- Wisconsin-Card-Sorting-Test (Anwendung flexibler kognitiver Strategien; Aufmerksamkeit; Arbeitsgedächtnis)
- Persönlichkeitstest (MMPI)
- Vorhersage der Konsequenzen von sozialen Ereignissen (Bilder-Test)
- Moralisches Interview (Kohlberg)

Was ergab sich dennoch?

Durch Erfahrung erworbenes internes Präferenzsystem
- Orientiert sich an Hintergrundempfindungen
- Richtet Aufmerksamkeit aus
- Grundlage von Intuition
Hintergrundempfindungen
- Repräsentieren den aktuellen Körperzustand (somatische Marker)
- Repräsentieren die antizipierten Konsequenzen eines Ereignisses
- Voraussetzung für komplexe Entscheidungen mit persönlicher Relevanz
- Regulation im ventromedialen präfrontalen Kortex
(Kurz: Am ehesten als Bauchgefühl zu bezeichnen → Körperzustände, die uns sagen, wie wir uns verhalten sollen)

Ventromedialer PFC (vmPFC)

Signale aus den sensorischen Rindenregionen
- Somatosensorischer Kortex
Signale aus bioregulatorischen Abschnitten
- (Hirnstamm, basales Vorderhirn, Amygdala, Hypothalamus, Gyrus cinguli)
Aufrechterhaltung von körperbezogenen Assoziationen zwischen Situation und Erfahrung

Bei Orientierungsreaktion normal
Bleibt bei emotionalen Bildern aus
Bleibt bei der Wiedererinnerung emotionaler Lebenserinnerungen aus
(vmPFC-Patient reagiert körperlich nicht mehr auf emotionale Bilder [keine sympathische Aktivität])

Was ist hingegen unverändert möglich?

Glücksspielexperiment

4 Kartenstapel: A, B, C, D
Darlehen: 200 Dollar
Ziel: Gewinnmaximierung bei 200 Kartenziehungen
Stapel A und B
- 50% hohe Gewinnkarten: 100 Dollar
- 50% hohe Verlustkarten
- Nach 10 Karten durchschnittlicher Verlust von 250 Dollar
Stapel C und D
- 50% niedrige Gewinnkarten: 50 Dollar
- 50% niedrige Verlustkarten
- Nach 10 Karten durchschnittlicher Gewinn von 250 Dollar
Ergebnisse:
- Antizipatorische Hautleitfähigkeitsreaktion
  - Entsteht im Laufe des Spiels vor dem Umdrehen von Karten mit hohem Verlust-Risiko
  - Entsteht vor der bewussten Kenntnis, dass es sich um einen Risiko-Stapel handelt
  - Entwickelt sich im Laufe des Spiels bei den gesunden Kontrollprobanden
  - Fehlt bei den vmPFC-Patienten
- Anzahl gezogener Karten nach 100 Kartenziehungen
  - Bei gesunden Kontrollprobanden: mehr von Stapel C und D (niedrige Gewinne/Verluste; durchschnittlicher Gewinn)
  - Bei vmPFC-Patienten: mehr von Stapel A und B (hohe Gewinne/Verluste; durchschnittlicher Verlust)

Belohnungsaufschub
- Fähigkeit somatische Marker in Antizipation möglicher negativer und positiver Konsequenzen zu aktivieren
Konditionierung höherer Ordnung
- Unabhängig hiervon funktioniert der Aufbau einfacher, klassischer (Furcht-)Konditionierung (Amygdala)
Erleben von sekundären Gefühlen
- Verlegenheit, Eifersucht, Schuld, Stolz etc.
  - Primäre Gefühle: Glück, Traurigkeit, Wut, Furcht, Ekel

Adolphs: Soziale Kognition

Soziale Kognition ist ein aktiver Prozess (wir setzen uns aktiv mit der sozialen Umwelt auseinander)
Die Wahrnehmung sozialer Reize erfordert spezialisierte Netzwerke
Empathie erleichtert soziale Wahrnehmung

Welche Forderungen an die Forschung?

Die Wahrnehmung sozialer Reize erfordert spezialisierte neuronale Netzwerke
- Fusiformer Kortex (Spezifische Aktivierung durch Gesichter, im Vergleich mit anderen visuellen Reizen)
Die Wahrnehmung sozialer Reize erfordert eine automatische Bewertung der sozialen Situation (Attribution), um Handlungsstrategien anzupassen
- Ventromedialer Präfrontalkortex

Erleichterung der sozialen Wahrnehmung durch die Fähigkeit zur Empathie
Inselrinde
- Aktivierung bei Empathie
- Interozeptiver somatosensorischer Kortex
- Repräsentation des vegetativen Körperzustandes
Cingulärer Kortex
- Aktivierung durch soziale Emotionen
- Regulation von emotional erlebter Empathie (im Gegensatz zu einem nicht-emotionalen Verständnis anderer Menschen)

Wicker: Spiegelneurone

Neurone im prämotorischen Kortex von Affen sind bei bestimmten Handlungen aktiv. Die selben Neurone werden aktiviert, wenn die Affen diese Handlungen beobachten.

Wie verhält sich das beim Menschen?

Spiegelneurone werden nicht nur durch motorische Handlungen, sondern auch durch emotionale Zustände aktiviert.

Welches Beispiel dazu?

Van Veen: Kognitive Dissonanz

Vorabbedingung für alle VPs
- Langweilige motorische Aufgabe im Scanner (45 Minuten)
Experimentalbedingung
- Bewertung von Aussagen im Scanner
  - Ich finde das Experiment im Scanner super
  - Ich fühle mich im Scanner ruhig und friedlich
- Kontrollgruppe
  - Wahrheitsgemäße Einschätzung der Aussagen
- Experimentalgruppe
  - Vorgabe positiver Erfahrung im Scanner für wartende VP im Vorraum
- Nachbefragung: Wie interessant fanden Sie das Experiment?
Ergebnisse: Experimentalgruppe
- Das Experiment wurde von der Experimentalgruppe positiv beurteilt (da geringe externe Rechtfertigung; kogn. Diss. hat gewirkt; VPs haben ihre Kognitionen angeglichen)
- Aktivierung (bei den Zielsätzen) der Anterioren Insel (Regulation von Interozeption) und des Anterioren Cingulums (Konflikt-Monitor) bei Dissonanz
- Bei neutralen Sätzen: Bei schönem Wetter scheint meistens die Sonne → keine unterschiedliche Aktivierung zw. den beiden Gruppen
- Korreliert sogar: Je stärker das Ausmaß der Dissonanz, also je stärker die Veränderung der Kognition (je eindeutiger gesagt wurde „war ein tolles Exp.“), desto stärker die Gehirngebiete aktiviert

Olsson und Phelps: Soziales Erlernen von Angst

Klassische Angstkonditionierung

Paarung von CS und US in der Amygdala
Informationen kommen über verschiedene Wege in die Amygdala
- Direkt über (visuellen und somatosensorischen) Thalamus
- Visueller Kortex; Somatosensorischer Kortex
- Neokortikal über: AI (Anteriore Insel); ACC = (anteriorer cingulärer Kortex); Hippocampus
AI, ACC, Hippocampus können die Reaktion noch verstärken
- Hippocampus + AI = wichtig für Kontextinformationen
- Cingulum = eher für internalen Status

Beobachtungslernen

Soziales Erlernen von Angst

Bekannt bei Vögel, Mäusen, Katzen, Kühen, Primaten u.v.a.m.
Ebenso Affen und Menschen
- Auch Angstausdruck (Beobachten von Angst) kann als US dienen
- One-Trial-Learning genügt, um Angst auszubilden (CS-US-Paarung)

Modulation des Effektes über die Fähigkeit zur Empathie

Mäuse, Affen, Menschen
Reagieren auf die Beobachtung von Stresserleben bekannter bzw. befreundeter Artgenossen stärker
Mäuse
- Bekanntheitsgrad: Schnelleres Lernen, wenn sie die anderen Mäuse zuvor bereits kennen; bei fremden Mäusen ist der Aufbau v. Angst weniger stabil und weniger stark
Menschen u. Affen
- Beobachtungslernen = insbesondere (also effektiver und stabiler) bei Empathie

Modulation der Konditionierung (→ beteiligte Regionen und deren jeweilige Funktion)

ACC und anteriore Insel (AI)
- Miterleben = Fähigkeit zur Empathie
- Einschätzung des Beobachteten als Kooperationspartner
vmPFC
- Fähigkeit das Ereignis als bedeutsam zu erkennen
- Validität des Models
- Eigene Lernerfahrung
- Persönliche Ziele und Werte

Instruiertes Lernen

Etablierung einer CR durch Instruktion möglich
- Man muss nicht Beobachten zum Lernen; od. selbst die Erfahrung gemacht haben
- Es eicht wenn jemand sagt, dass XY gefährlich ist, um Angst auszubilden
- Ohne jemanden gesehen zu haben, der Schaden durch XY erlitten hat = instruiertes Lernen → man entwickelt tatsächlich Angst vor XY
Aber: Keine CR auf subliminale CS
- CR auf subliminale CS möglich bei Beobachtungslernen
- Man zeigt CR; aber nicht auf subliminale CS; man muss es schon bewusst wahrnehmen (dass XY)
Kortikale Repräsentation der CS-US-Paarung
- CS-US-Paarung ist rein kortikal (nicht Amygdala)
- linkshemisphärisch (Sprache abgebildet; über Sprache Bedrohung vermittelt)

Ochsner: Emotionsregulation

UV: Instruktionen → 2 Gruppen
- Attend: Achten Sie auf die Gefühle, die das Bild in Ihnen auslöst
- Reappraise: Interpretieren Sie die Bedeutung des Photos so, dass es keine negative Emotion mehr in Ihnen auslöst
Übung der Reappraise-Bedingung
Ergebnisse:
- Selbstberichtete Emotionen
  - Waren in der Reappraise-Bedingung deutlich geringer als in der Attend-Bedingung
- Neurobiologisch: Erfolgreiche Emotionsregulation
  - Verminderte Aktivierung im medialen orbitofrontalen Kortex (MOFC) und in der Amygdala
  - Verstärkte Aktivierung im lateralen Präfrontalkortex (LPFC)

Panksepp: Positive Emotionen/ Lachen

50 kHz Vokalisationen
- Antizipation sexueller Aktivitäten
- Antizipation belohnender Gehirnstimulation
- Rough-and-tumble play
- Kitzeln

Welche Ergebnisse aus dem Versuch 50 kHz Vokalisationen durch Kitzeln?

Welche allgemeinen Ergebnisse bei 50 kHz Vokalisationen durch Kitzeln?

Dunbar: Soziale Berührungen

Grooming (gegenseitige Fell-, Körperpflege/Putzen)
- Für grooming wird wesentlich mehr Zeit aufgewendet als zur Körper-Säuberung nötig wäre
- Zeit für grooming korreliert nicht mit der Körperoberfläche
- Zeit für grooming korreliert mit der sozialen Gruppengröße
Grooming führt zur Ausschüttung von Neurohormonen, welche mit dem Belohnungssystem verbunden sind
- Z. B. Endorphine, Oxytocin, (Vasopressin)
Die Aktivierung des Belohnungssystems unterstützt die Ausbildung stabiler sozialer Beziehungen